1. Den Beteiligten steht es grundsätzlich frei, eine Vertrauensperson zu einer gerichtlich angeordneten gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen, sofern deren Anwesenheit eine geordnete und effektive Beweiserhebung nicht objektiv erschwert oder verhindert.
2. Die Entscheidung über die Anwesenheit eines Dritten während einer gerichtlich angeordneten gutachterlichen Untersuchung liegt im Streitfall allein in der Kompetenz des Gerichts.
3. Mangelnde Mitwirkung eines Beteiligten entbindet das Gericht nicht von der Pflicht, die noch möglichen Ermittlungen anzustellen.
4. Ein Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes ist nicht allein deshalb als rechtsmissbräuchlich abzulehnen, weil eine Begutachtung von Amts wegen nicht zustande gekommen ist.
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grads der Behinderung (GdB) von 50 auf 30.
Dem 1958 geborenen Kläger wurde im Juni 2011 ein Tumor der rechten Schulter operativ entfernt. Der Beklagte stellte ausgehend von der Funktionsbeeinträchtigung "Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter im Stadium der Heilungsbewährung" einen GdB von 50 ab Juli 2011 fest (Bescheid vom 24.5.2013). Nach Anhörung des Klägers setzte der Beklagte den GdB mit Wirkung ab 1.11.2016 auf 20 herab, weil die vorgesehene Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen sei und der GdB nur noch nach der tatsächlich bestehenden Funktionsbeeinträchtigung "Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts" zu beurteilen sei. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen und Gesundheitsstörungen wirkten sich nicht aus oder seien für die Bildung des GdB ohne Bedeutung (Bescheid vom 19.10.2016). Auf den Widerspruch des Klägers berücksichtigte der Beklagte als weitere Funktionsbeeinträchtigung eine "Funktionseinschränkung der Wirbelsäule" mit einem Einzel-GdB von 20 und setzte den GdB ab 1.11.2016 auf 30 fest (Teilabhilfebescheid vom 24.2.2017). Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14.3.2017).
Mit seiner Klage hat der Kläger Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem, HNO-ärztlichem sowie augenärztlichem Fachgebiet geltend gemacht und sich auf ein von ihm bereits im Vorverfahren vorgelegtes Privatgutachten von R berufen, wonach der Gesamt-GdB mindestens 50 betrage. Das SG hat den Orthopäden G mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt (Beweisanordnung vom 27.9.2017). Zur gutachterlichen Untersuchung ist der Kläger in Begleitung seiner Tochter erschienen und hat auf deren Anwesenheit im Rahmen der Anamneseerhebung und der Untersuchung bestanden. Daraufhin hat G die Entpflichtung als Sachverständiger beantragt. Die Anwesenheit Dritter in gutachtlichen Untersuchungen stoße bei ihm prinzipiell auf erhebliche Bedenken, weil die Erhebung objektiver Befunde dadurch erschwert werde. Das SG hat die Beweisanordnung geändert und den Orthopäden C zum neuen Sachverständigen ernannt (Beschluss vom 10.4.2018). Zur Begutachtung ist der Kläger in Begleitung seines Sohnes erschienen und hat auf dessen Anwesenheit bestanden. C hat die Untersuchung abgelehnt, weil durch die Anwesenheit einer Vertrauensperson eine "Zeugenungleichheit" entstehe. Nachdem der Kläger bekräftigt hat, mit keiner Begutachtung ohne Anwesenheit einer Vertrauensperson einverstanden zu sein, hat das SG die Beweisanordnung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Aufgrund der abgelaufenen Heilungsbewährung sei eine wesentliche Änderung in den entscheidungserheblichen Verhältnissen eingetreten. Ein höherer GdB als 30 sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht gerechtfertigt. Weitere Ermittlungen seien nicht zu veranlassen, weil der Kläger an der vom Gericht angeordneten Beweiserhebung nicht mitgewirkt habe, obwohl dies - auch in Abwesenheit einer Vertrauensperson - für ihn zumutbar gewesen sei. Ein Gutachten nach Lage der Akten sei nicht zielführend (Gerichtsbescheid vom 17.12.2018).
Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt, der Beklagte habe den Gesamt-GdB nach Eintritt der Heilungsbewährung auf der vorliegenden Erkenntnisgrundlage nicht mit mehr als 30 feststellen können. Die verbleibenden Zweifel aufgrund der bislang nicht ausreichenden medizinischen Ermittlungen gingen in der Anfechtungssituation zwar grundsätzlich zulasten des sich auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse berufenden Beklagten. Hier sei aber eine Umkehr der Beweislast eingetreten, weil der Kläger die weitere Aufklärung des Sachverhalts vereitelt habe. Er habe keinen Anspruch auf die Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes während der gutachterlichen Untersuchung. Deren Gestaltung und damit die Beurteilung, ob die Unverfälschtheit der Untersuchungssituation durch die Anwesenheit einer Vertrauensperson gefährdet werde, unterliege der Fachkompetenz der Sachverständigen. Der vom Kläger gestellte Antrag nach § 109 SGG auf Begutachtung durch den von ihm benannten Orthopäden sei angesichts der Vereitelung der von Amts wegen in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten als rechtsmissbräuchlich abzulehnen (Urteil vom 11.12.2019).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine fehlende angemessene medizinische Sachaufklärung. Aus Gründen des fairen Verfahrens (Art 2 Abs 1, Art 20 Abs 3 GG und Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK) müsse es ihm grundsätzlich erlaubt sein, eine Vertrauensperson an der Untersuchung, der Anamnese und den Unterredungen mit dem Sachverständigen teilnehmen zu lassen. Durch die Anwesenheit einer Vertrauensperson (Tochter oder Sohn) habe er die für ihn höchst unangenehme Begutachtung erträglicher gestalten und dem Gefühl entgegenwirken wollen, dem Sachverständigen ausgeliefert zu sein. Er sei auch bereit gewesen, die Anwesenheit einer Vertrauensperson des Sachverständigen (zB einer Hilfsperson) oder eines Vertreters des Beklagten zu akzeptieren. Anders als bei einer psychiatrischen bestehe bei einer orthopädisch-chirurgischen Begutachtung kein genereller Grund, die Anwesenheit einer sich still und unauffällig verhaltenden Vertrauensperson abzulehnen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11.12.2019 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 17.12.2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 19.10.2016 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 24.2.2017 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.3.2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und hält die Revision für nicht ausreichend begründet.
Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem es die Berufung gegen den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 17.12.2018 zurückgewiesen und die Herabsetzung des GdB des Klägers auf 30 durch den Bescheid des Beklagten vom 19.10.2016 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 24.2.2017 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.3.2017 (§ 95 SGG) für rechtmäßig befunden hat.
B. Die Revision des Klägers ist zulässig. Die Revisionsbegründung genügt den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Sie ist nicht an den strengen formalen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG zu messen, die das BSG in Bezug auf die Begründung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision entwickelt hat (stRspr; zB BSG Urteil vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/12 R - BSGE 115, 18 = SozR 4-1300 § 13 Nr 1, RdNr 22 f; s zu diesen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 20.5.2022 - B 10 ÜG 1/22 B - juris RdNr 4 ff). Hierauf jedoch bezieht sich der überwiegende Teil der Revisionserwiderung des Beklagten.
Die Anforderungen an die Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes werden mit der Revisionsbegründung noch erfüllt, obwohl diese keine ausdrückliche Angabe der aus Sicht des Klägers verletzten Rechtsnormen enthält. Jedoch genügt es, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - die Bestimmung aus dem Sinnzusammenhang der Revisionsbegründung ergibt (stRspr; zB BSG Urteil vom 30.9.2021 - B 9 V 3/21 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 10 RdNr 34 mwN). Mit dem Vorbringen, dass eine angemessene medizinische Sachaufklärung nicht erfolgt sei, weil die entsprechenden Begutachtungen nicht durchgeführt worden seien, rügt der Kläger sinngemäß einen Verstoß des LSG gegen § 103 SGG. Die weiteren Anforderungen an die Rüge eines Verfahrensmangels (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2021 - B 9 V 3/21 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 10 RdNr 33 ff; zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung bei Sachrügen BSG
C. Die Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung des Rechtsstreits begründet.
Der Kläger verfolgt den geltend gemachten Anspruch zulässigerweise mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG), deren Erfolg den zuvor mit Bescheid vom 24.5.2013 festgestellten GdB von 50 wieder aufleben ließe.
Ob der Beklagte berechtigt war, mit den angefochtenen Bescheiden den GdB auf 30 herabzusetzen (zu den Voraussetzungen unter 1), kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die vom Kläger gerügte Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) liegt vor, worauf das angegriffene Urteil beruht. Das LSG hätte die Berufung des Klägers nicht ohne weitere Erforschung des Sachverhalts zurückweisen dürfen (hierzu unter 2).
1. Rechtsgrundlage für die Herabsetzung des GdB des Klägers, die der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden vorgenommen hat, ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hierunter fallen auch solche über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/15 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 31 RdNr 13 mwN) - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass - dies ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts an den Adressaten (§§ 37, 39 Abs 1 SGB X; BSG Urteil vom 21.10.2021 - B 5 R 28/21 R - BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 13; BSG Urteil vom 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R - BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 13; BSG Urteil vom 14.3.1996 - 7 RAr 84/94 - juris RdNr 20; BSG Urteil vom 25.1.1994 - 7 RAr 14/93 - BSGE 74, 20 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32 - juris RdNr 19) - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Entscheidungserheblich ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids als letzte maßgebliche Verwaltungsentscheidung (BSG Urteil vom 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 40
Beruht die Höhe des GdB - wie im Bescheid des Beklagten vom 24.5.2013 - auf einer Erkrankung, für die ein (pauschal) erhöhter GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung angesetzt worden ist, ändert allein das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, dh rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zugrunde lagen (Teil A Nr 7 Buchst b Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung "Versorgungsmedizinische Grundsätze"
Für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl Teil A Nr 2 Buchst h Anlage VersMedV; BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/15 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 31 RdNr 15; BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris RdNr 7). Dazu ist der GdB gemäß § 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX in seiner hier noch maßgeblichen, bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 19.6.2001 (BGBl I 1046; seit 1.1.2018 § 152 Abs 3 Satz 1 SGB IX idF des Gesetzes vom 23.12.2016, BGBl I 3234) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (vgl BSG Urteil vom 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 40
2. Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und den hiermit verbundenen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind zur Bemessung des GdB nicht ausreichend. Durch den Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hat das LSG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen, worauf das angegriffene Urteil beruht.
Nach § 103 Satz 1 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Das Ausmaß der Aufklärung und die Wahl der Beweismittel steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und hängt weitgehend vom Einzelfall ab. Jedoch muss vom Gericht verlangt werden, dass es alle in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausschöpft (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2007 - B 3 P 7/07 B - juris RdNr 8), sofern es bereits eingeholte Auskünfte nicht als fundiert und erschöpfend ansieht (vgl BSG
a) Ob das LSG zu Recht von einer Begutachtung des Klägers von Amts wegen abgesehen hat, weil dieser die Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes als Vertrauensperson bei der Begutachtung durch die Sachverständigen verlangt hat, kann anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilt werden.
Im Rahmen ihrer Mitwirkungslast bei der Erforschung des Sachverhalts (§ 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG) obliegt es den Beteiligten, sich im gerichtlichen Verfahren ärztlich untersuchen zu lassen, soweit ihnen dies zumutbar ist (BSG Urteil vom 11.11.1971 - 1 RA 63/70 - SozR Nr 55 zu § 103 SGG - juris RdNr 12 f; Mushoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 103 RdNr 58, Stand 26.9.2022; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 103 SGG RdNr 14a). Zwar steht es den Beteiligten dabei im Grundsatz frei, eine Vertrauensperson zu einer gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen (hierzu unter aa). Das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei einer Begutachtung besteht aber nicht unbeschränkt. Eine solche Person ist von der Begutachtung auszuschließen, wenn ihre Anwesenheit eine geordnete und effektive Beweiserhebung erschwert oder verhindert (hierzu unter bb). Die Entscheidung über die Anwesenheit einer Vertrauensperson während der Begutachtung durch den Sachverständigen obliegt im Streitfall allein dem Gericht (hierzu unter cc). Ob vorliegend fachlich-sachliche Gründe gegen die vom Kläger geforderte Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes bei der vom SG angeordneten orthopädischen Begutachtung sprachen, hat das LSG nicht festgestellt (hierzu unter dd).
aa) Entgegen der Auffassung des LSG steht es dem Beteiligten im Grundsatz frei, eine Vertrauensperson zu einer gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen. Dies folgt für prozessbevollmächtigte volljährige Familienangehörige (§ 15 Abgabenordnung
(1) Nach § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGG können sich die Beteiligten vor dem SG und dem LSG ua durch volljährige Familienangehörige (§ 15 AO, § 11 LPartG) als Bevollmächtigte vertreten lassen. Zudem können sie in der mündlichen Verhandlung mit Beiständen erscheinen (§ 73 Abs 7 Satz 1 SGG). Als solche können ebenfalls volljährige Familienangehörige agieren (§ 73 Abs 7 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGG). Darüber hinaus kann das Gericht andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht (§ 73 Abs 7 Satz 3 SGG). Die Zulassung kann formlos, auch stillschweigend erfolgen (Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drucks 16/3655 S 96 zu Abs 7; allg Auffassung: zB Straßfeld in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 73 RdNr 187, Stand 1.8.2022; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 73 RdNr 45, Stand 15.6.2022; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 73 RdNr 78).
In dem Recht auf Vertretung durch Bevollmächtigte und auf Begleitung durch einen Beistand verwirklicht sich das durch das Rechtsstaatsprinzip des GG (Art 20 Abs 3 GG) iVm dem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) sowie durch Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK garantierte Recht auf ein faires Verfahren. Dieses zählt - wie das BVerfG wiederholt betont hat - zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (stRspr; zB BVerfG
(2) Das Recht auf Vertretung durch Bevollmächtigte und auf einen Beistand ist nicht allein auf die Verhandlung einschließlich der Beweisaufnahme vor dem Richter beschränkt, sondern umfasst - jedenfalls entsprechend - auch die Durchführung der vom Richter angeordneten Begutachtung durch einen Sachverständigen als Teil des sozialgerichtlichen Verfahrens. Bei einer solchen Begutachtung gelten rechtsstaatliche Grundsätze wie insbesondere der des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens genauso wie bei einer Beweisaufnahme durch das Gericht in der Verhandlung (vgl BVerwG Beschluss vom 12.4.2006 - 8 B 91.05 - juris RdNr 5; OLG Zweibrücken Beschluss vom 2.3.2000 - 3 W 35/00 - juris RdNr 4; vgl zur Gleichsetzung der Tatsachenfeststellung durch das Gericht und durch Sachverständige im Hinblick auf den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit BVerwG Beschluss vom 18.3.2014 - 10 B 11.14 - juris RdNr 11; BFH Urteil vom 26.3.1980 - II R 67/79 - BFHE 130, 366 - juris RdNr 12; BAG Urteil vom 28.3.1963 - 5 AZR 206/62 - juris RdNr 40; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl 2022, § 357 RdNr 1; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl 2015, § 357 RdNr 9; Schnapp in Erichsen/Hoppe/von Mutius, Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S 557, 564 ff; kritisch: Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl 2013, § 404a RdNr 29, 31). Denn der Sachverständige wird nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404 Abs 1 Satz 1, § 404a ZPO als "Gehilfe" (BSG Urteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - BSGE 124, 136 = SozR 4-1720 § 198 Nr 16, RdNr 41; BSG Urteil vom 25.8.1955 - 4 RJ 120/54 - SozR Nr 1 zu § 128 SGG - juris RdNr 22) bzw als "Berater" (BGH Urteil vom 3.3.1998 - X ZR 106/96 - juris RdNr 24) des Gerichts tätig, weil diesem die Sachkunde für den zu begutachtenden Bereich fehlt.
Als Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren gibt die Anwesenheit einer Vertrauensperson - sei es als Bevollmächtigter oder Beistand - bei der gutachterlichen Untersuchung dem Beteiligten die Möglichkeit, sich nicht nur unmittelbar vor dem Gericht der für die Wahrnehmung prozessualer Rechte und Möglichkeiten erforderlichen sachkundigen Unterstützung zu bedienen, sondern auch bei einer gerichtlich angeordneten Begutachtung. Gleiches gilt im Hinblick auf eine durch § 73 Abs 7 Satz 3 SGG anerkannte, aus anderen Gründen als sachdienlich und erforderlich angesehene persönliche Unterstützung des Beteiligten, insbesondere durch eine ihm nahestehende Person (im Grundsatz ebenso für die Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Begutachtung: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 17.2.2010 - L 31 R 1292/09 B - juris RdNr 6; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 20.7.2006 - L 5 KR 39/05 - juris RdNr 19; Bieresborn in Francke/Gagel/Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2. Aufl 2017, § 2 RdNr 28; Reyels, jurisPR-SozR 20/2012 Anm 4
Zudem unterliegt die gerichtliche Anordnung einer medizinischen Begutachtung, auch ohne Zwang zur Mitwirkung (vgl BVerfG
Ein rechtlich relevantes persönliches Unterstützungsbedürfnis besteht besonders dann, wenn der zu begutachtende Beteiligte in der Fähigkeit, seine gesundheitliche Situation darzustellen, gehemmt oder behindert ist. Gerade bei ängstlichen oder mit der Befragungssituation überforderten Beteiligten kann eine Vertrauensperson auch dazu beitragen, Aussagefehler, Missverständnisse oder versehentliche Aussparungen in der Schilderung durch den Beteiligten zu vermeiden und damit dem Ziel, ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild der Situation des Beteiligten zu erstellen, näher zu kommen (vgl BVerfG Beschluss vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - BVerfGE 38, 105 - juris RdNr 26). Angesichts der regelmäßig tief in das Persönlichkeitsrecht des zu Untersuchenden eingreifenden Beweisaufnahme durch einen ärztlichen Sachverständigen kann grundsätzlich schon das subjektiv empfundene Bedürfnis des Beteiligten nach Unterstützung die Anwesenheit einer Vertrauensperson rechtfertigen. Dies kann im Einzelfall selbst dann gelten, wenn dieses Bedürfnis für Außenstehende rational nicht ohne Weiteres erklärbar ist (vgl zu "unsachlichen Gründen" LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 23.2.2006 - L 4 B 33/06 SB - juris RdNr 7; Tamm, ASR 2006, 62, 65). Entspricht das Begehren, zu einer Begutachtung begleitet zu werden, hingegen lediglich dem Anliegen der Bezugsperson, nicht "außen vor gelassen" zu werden oder sogar eigene Interessen vertreten zu können, kann dies kein Recht auf Anwesenheit während der Begutachtung des Beteiligten begründen (vgl zutreffend Deutsche Rentenversicherung, Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung, Sozialmedizinische Beurteilung bei psychischen und Verhaltensstörungen, August 2012 incl Update 2018, S 31).
Darüber hinaus kann das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei Untersuchungen oder Explorationsgesprächen auch der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegenüber zumindest abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen dienen (vgl OLG Hamm Beschluss vom 3.2.2015 - II-14 UF 135/14, 14 UF 135/14 - juris RdNr 7). Solche Fehler lassen sich grundsätzlich nicht ohne Weiteres durch die vom Berufungsgericht angeführte Möglichkeit der schriftlichen und/oder mündlichen Befragung des Sachverständigen nach § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 3 und 4 ZPO und der eigenen abweichenden Darstellung des Untersuchungsablaufs sowie eine Antragstellung nach § 109 SGG ausgleichen. Möglichen Bedenken von Sachverständigen im Hinblick auf eine "Zeugenungleichheit" können diese durch Hinzuziehen zB einer Sprechstundenhilfe begegnen.
Dem grundsätzlichen Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson auch während der Begutachtung durch einen Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen im Rahmen der Begutachtung der Schuldfähigkeit und der Gefährlichkeit des Beschuldigten kein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Exploration besteht. Dies wird damit begründet, dass die Exploration mit einer Vernehmung bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht nicht gleichzusetzen sei und es keinen wissenschaftlichen Standard gebe, der die Anwesenheit Dritter bei Schuldfähigkeits- und Prognosegutachten vorsehe (vgl
bb) Das Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson besteht auch bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen nicht unbeschränkt. Vielmehr ist der Ausschluss einer solchen Person dann mit den genannten Grundsätzen vereinbar, wenn er unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich ist (vgl BVerfG
Mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darf aber nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Anwesenheit Dritter stets die gesamte Untersuchungssituation unzumutbar beeinträchtigt. Vielmehr ist eine Differenzierung im Einzelfall ua nach der Beziehung zwischen dem zu Begutachtenden und der Vertrauensperson, dem ärztlichen Fachgebiet, dem Gegenstand der Begutachtung und deren unterschiedlichen Phasen - zB (Teilen) der Anamnese, der körperlichen Untersuchung oder der Durchführung von Testverfahren - erforderlich (vgl Bayerisches LSG Beschluss vom 4.4.2019 - L 7 U 396/16 - juris RdNr 13, 15; Bayerisches LSG Beschluss vom 20.11.2013 - L 2 SF 155/12 B - juris RdNr 15; vgl zur notwendigen Barrierefreiheit der Kommunikation BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/13 B - juris RdNr 14 f). Der Ausschluss von Vertrauenspersonen ist deshalb grundsätzlich nur auf die Teile der Untersuchung und Exploration zu beschränken, bei denen dies sachlich begründbar ist (vgl Gaidzik in Widder/Gaidzik, Neurowissenschaftliche Begutachtung, 3. Aufl 2018, S 60).
Inwieweit das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson während der Begutachtung zur Wahrung einer geordneten und effektiven Beweiserhebung auf die bloße Anwesenheit des Begleiters als "stiller Beisitzer" im Hintergrund beschränkt ist oder darüber hinaus auch dessen aktive Beteiligung durch Fragen, Vorhalte, eigene Antworten im Sinne einer Fremdanamnese, sonstige Äußerungen oder sonstiges Mitwirken umfasst, ist hier nicht zu entscheiden, weil der Kläger dies nicht verlangt (vgl zur Verfälschung des Untersuchungsergebnisses durch Hilfeleistungen der Vertrauensperson LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 20.11.2009 - L 2 R 516/09 B - juris RdNr 23; vgl zu einer protokollierenden Vertrauensperson OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 30.9.1999 - 2 B 11735/99 - juris RdNr 5; vgl zur Fremdanamnese Brockmeyer/Hellweg/Merten, MedSach 2022, 58, 62). Grundsätzlich kann aber nicht angenommen werden, dass ein Bevollmächtigter oder Beistand im Rahmen der Begutachtung weitergehende Rechte in Anspruch nehmen könnte als in der mündlichen Verhandlung (vgl Roller, MedSach 2007, 30, 31). Eine Grenze findet eine aktive Beteiligung des Bevollmächtigten oder Beistands jedenfalls dort, wo sie den Gang der Begutachtung maßgeblich erschwert oder behindert und damit den Aufklärungszweck der gerichtlichen Beweisanordnung objektiv gefährdet. Zur Wahrung seiner Rechte verbleiben dem begutachteten Beteiligten in diesem Fall die Möglichkeit zur nachträglichen Stellungnahme einschließlich eigener abweichender Darstellung des Untersuchungsablaufs und der Anspruch auf schriftliche und/oder mündliche Befragung des Sachverständigen (§ 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 und 4 ZPO; vgl OLG Hamm Beschluss vom 3.2.2015 - II-14 UF 135/14, 14 UF 135/14 - juris RdNr 8).
cc) Die Entscheidung über die Anwesenheit eines Dritten während der Begutachtung durch den Sachverständigen liegt im Streitfall allein in der Kompetenz des Gerichts. Dies ergibt sich aus § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404a Abs 1 und 4 ZPO.
Nach § 404a Abs 1 ZPO hat das Gericht die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und kann ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen erteilen. Soweit es erforderlich ist, bestimmt das Gericht auch, wann der Sachverständige den Beteiligten die Teilnahme an seinen Ermittlungen zu gestatten hat (§ 404a Abs 4 ZPO). Zwar sollen die verbindlichen Anordnungen des Gerichts die fachliche Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit des Sachverständigen nicht berühren (Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes, BT-Drucks 11/3621 S 39 zu Nummer 21). Dies führt aber nicht dazu, dass die Entscheidung über die Anwesenheit einer Vertrauensperson dem Sachverständigen zu überlassen ist (ebenso Bayerisches LSG Beschluss vom 4.4.2019 - L 7 U 396/16 - juris RdNr 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 118 RdNr 11m; Kemper, MedSach 2014, 46, 49; Roller, MedSach 2007, 30, 31; Francke in Francke/Gagel/Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2. Aufl 2017, § 11 RdNr 65; aA LSG Baden-Württemberg Urteil vom 24.10.2011 - L 11 R 4243/10 - juris RdNr 35; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 20.11.2009 - L 2 R 516/09 B - juris RdNr 12; Brockmeyer/Hellweg/ Merten, MedSach 2022, 58, 60; vgl auch Leopold in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 118 RdNr 102, Stand 1.11.2022, der sich für eine Formulierung der Beweisanordnung ausspricht, die dem Sachverständigen die Entscheidung überlässt).
Das Verbot der Erteilung fachlicher Weisungen schließt zwar auch Anordnungen des Gerichts dazu aus, auf welchem Weg der Sachverständige das Gutachten zu erarbeiten hat (vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 24.10.2011 - L 11 R 4243/10 - juris RdNr 35; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 20.11.2009 - L 2 R 516/09 B - juris RdNr 12; vgl BGH Beschluss vom 8.8.2002 - 3 StR 239/02 - juris RdNr 9 zu § 78 StPO, der anders als § 404a Abs 1 ZPO explizit nur die Leitung des Sachverständigen, nicht die Erteilung von Weisungen anspricht). Dennoch trägt das Gericht die Verantwortung für die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze bei der von ihm angeordneten Begutachtung (in diesem Sinne auch Bayerisches LSG Beschluss vom 4.4.2019 - L 7 U 396/16 - juris RdNr 9). Hierbei hat es nicht nur das Anwesenheitsrecht der Beteiligten bei Ermittlungshandlungen zu berücksichtigen (Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl 2022, § 357 RdNr 1 und § 404a RdNr 9; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl 2015, § 357 RdNr 9; Daub, Die Tatsachenerhebung durch den Sachverständigen, 1997, S 197 f), sondern insbesondere auch deren grundsätzliches Recht auf Begleitung durch Bevollmächtigte und Beistände (§ 73 Abs 2 und Abs 7 SGG, dazu bereits oben unter aa) und damit auch durch Vertrauenspersonen bei einer gerichtlich angeordneten Begutachtung.
Lehnt der Gutachter die Untersuchung unter Anwesenheit eines Dritten ab und kann (ggf durch ein klärendes Gespräch) auch kein Einvernehmen über dessen (partielle) An-/Abwesenheit erzielt werden (vgl hierzu Francke in Bieresborn, Einführung in die medizinische Sachverständigentätigkeit vor Sozialgerichten, 2015, S 389; Kemper, MedSach 2014, 46, 49; Roller, MedSach 2007, 30, 31), hat das Gericht zunächst die vom Sachverständigen im Einzelfall gegen die Anwesenheit eines Dritten während der Begutachtung angeführten fachlichen Gründe (Francke in Bieresborn, Einführung in die medizinische Sachverständigentätigkeit vor Sozialgerichten, 2015, S 51, 389; Kemper, MedSach 2014, 46, 49; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 8.7.2020 - L 4 R 149/19 - juris RdNr 41) unter Beachtung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands (vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 28) zu prüfen. Sodann hat es diese Gründe unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen die Rechte des Beteiligten abzuwägen. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung unter Anwesenheit eines Dritten zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe, als wenn es ohne Anwesenheit einer Vertrauensperson gewonnen worden wäre, hat er dies in seinem Gutachten darzulegen. Dies zu würdigen, ist allein Aufgabe des Gerichts (vgl OLG Hamm Beschluss vom 3.2.2015 - II-14 UF 135/14, 14 UF 135/14 - juris RdNr 7).
dd) Ob vorliegend sachlich-fachliche Gründe gegen die vom Kläger geforderte Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes bei der vom SG angeordneten orthopädischen Begutachtung sprachen, kann der Senat auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Durch die vom SG als Sachverständige beauftragten G und C ist deren Anwesenheit lediglich pauschal abgelehnt worden. Den von G ohne Bezug auf den Einzelfall geäußerten "fachlichen Bedenken", dass durch die Anwesenheit Dritter bei der gutachterlichen Untersuchung die Erhebung objektiver Befunde erschwert werde, ist das LSG nicht weiter nachgegangen.
b) Unabhängig davon, ob die vom Kläger geforderte Anwesenheit einer Vertrauensperson während der Begutachtung aus sachlich-fachlichen Gründen der Durchführung einer Begutachtung von Amts wegen entgegenstand, hätte das LSG nicht auf jegliche weitere Sachverhaltsaufklärung verzichten und auf Grundlage einer Beweislastumkehr entscheiden dürfen. Vielmehr hätte das LSG auch die Möglichkeit eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage in Betracht ziehen müssen (dazu unter aa). Auch hätte es den Antrag des Klägers nach § 109 SGG auf Begutachtung durch den von ihm benannten Orthopäden nicht allein deshalb als rechtsmissbräuchlich ablehnen dürfen, weil eine Begutachtung von Amts wegen nicht zustande gekommen ist (dazu unter bb).
Mangelnde Mitwirkung eines Beteiligten entbindet das Gericht nicht von der Pflicht, die noch möglichen Ermittlungen anzustellen (BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 17/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/13 B - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 14). Zwar ist in Fällen unverschuldeter Beweisnot auch im sozialgerichtlichen Verfahren im Einzelfall eine Beweiserleichterung denkbar, sodass sich das Gericht über Zweifel hinwegsetzen und eine Tatsache als bewiesen ansehen kann. Eine Beweiserleichterung analog § 444 ZPO kann jedoch nur angenommen werden, wenn zuvor alle Möglichkeiten, den Sachverhalt festzustellen, ausgeschöpft sind (BSG Urteil vom 2.9.2004 - B 7 AL 88/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 10, 15 f).
aa) Hierzu gehört es auch, die behandelnden Ärzte des Beteiligten anzuhören und ein Sachverständigengutachten nach Lage der bereits vorhandenen oder noch beizuziehenden ärztlichen Untersuchungsbefunde und Gutachten erstellen zu lassen (BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 14; BSG Urteil vom 11.11.1971 - 1 RA 63/70 - SozR Nr 55 zu § 103 SGG - juris RdNr 13). Dass solche Maßnahmen hier nicht sachdienlich sein könnten, hat das LSG nicht festgestellt. Soweit das SG eine solche Feststellung getroffen hat, hat es hierfür keine Gründe genannt. Solche sind zumindest nicht ohne Weiteres erkennbar, zumal es angesichts des entscheidungserheblichen Zeitpunkts der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids im März 2017 auf den damaligen Gesundheitszustand des Klägers und nicht auf die Erhebung aktueller medizinischer Befunde ankommt.
bb) Überdies war der Antrag des Klägers nach § 109 SGG auf Begutachtung des von ihm benannten Orthopäden nicht allein deshalb als rechtsmissbräuchlich abzulehnen, weil eine Begutachtung von Amts wegen nicht zustande gekommen ist (aA LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.12.2018 - L 8 R 2569/17 - juris RdNr 39).
Nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG muss das Gericht - abweichend von § 103 Satz 2 SGG - einen von einem berechtigten Beteiligten benannten Arzt als Gutachter gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 402 ff ZPO hören. Zwar obliegt die Auswahl des Sachverständigen wegen des Vorrangs der Ermittlungen von Amts wegen (BSG Beschluss vom 23.9.1997 - 2 BU 177/97 - SozR 3-1500 § 109 Nr 2 - juris RdNr 7) - wie vom LSG zutreffend ausgeführt - grundsätzlich dem Gericht (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404 Abs 1 Satz 1 ZPO). § 109 SGG bedeutet insoweit aber eine Einschränkung des Gerichts in der freien Auswahl der ärztlichen Sachverständigen (BSG Urteil vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R - BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 16; BSG Urteil vom 14.3.1956 - 9 RV 226/54 - BSGE 2, 255 - juris RdNr 10).
Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, aus rechtsstaatlichen Gründen einen Ausgleich bei der Beschaffung von Beweismitteln ("Grundsatz der Waffengleichheit") zugunsten des Beteiligten zu sichern, der nicht wie ein Versicherungsträger oder eine Versorgungsbehörde auf ärztlichen Sachverstand im eigenen Bereich zurückgreifen kann (vgl BSG Urteil vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R - BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 15; BSG Urteil vom 14.3.1956 - 9 RV 226/54 - BSGE 2, 255 - juris RdNr 10; Müller in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 109 RdNr 2, Stand 1.11.2022). Dazu wird den Beteiligten die Möglichkeit eröffnet, insbesondere nach Abschluss der Ermittlungen von Amts wegen, eine (weitere) Bewertung durch einen Arzt ihres Vertrauens in das Verfahren einzubringen (vgl Müller in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 109 RdNr 4, Stand 1.11.2022; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 109 RdNr 7, Stand 5.7.2022; Groth in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, III. Kap RdNr 78). Zudem kann § 109 SGG den Rechtsfrieden fördern, indem das oft "diffuse Misstrauen" vieler Kläger gegen die Objektivität der behördlich oder seitens des Gerichts beauftragten Ärzte aufgefangen wird (vgl Müller in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 109 RdNr 2, Stand 1.11.2022; Roller, MedSach 2007, 30, 31).
Dass ein Gutachten nach § 109 SGG auf der Antragstellung eines Beteiligten basiert und ggf von diesem zu finanzieren ist, nimmt ihm nicht den Charakter eines Gerichtsgutachtens (BSG Beschluss vom 30.8.1958 - 11/10 RV 1269/56 - SozR Nr 22 zu § 109 SGG - juris RdNr 6; Müller in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG § 109 RdNr 4, Stand 1.11.2022; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 109 RdNr 7, Stand 5.7.2022; Groth in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, III. Kap RdNr 76). Ein nach § 109 SGG erstattetes Gutachten ist kein "Parteigutachten"; denn auch im Fall des § 109 SGG handelt es sich um eine Beweiserhebung durch das Gericht (BSG Urteil vom 27.1.1970 - 9 RV 80/69 - SozR Nr 38 zu § 109 SGG - juris RdNr 12; Berchtold in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 109 RdNr 4). Ein Gutachten nach § 109 SGG unterscheidet sich von einem von Amts wegen eingeholten Gutachten nur dadurch, dass es vom Gericht abweichend vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 Satz 2 SGG) eingeholt werden muss und dass es von einem Kostenvorschuss sowie endgültiger Kostentragung durch den Antragsteller vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts abhängig gemacht werden kann (§ 109 Abs 1 Satz 2 SGG; Hauck in Hennig, SGG, § 109 RdNr 52, Stand September 2010). Der Beweiswert eines Gutachtens, welches das Gericht nach § 109 SGG bei einem von einem Beteiligten vorgeschlagenen Arzt eingeholt hat, ist nicht schon allein deshalb geringer als der eines Gutachtens, das vom Gericht bei einem von ihm selbst ausgewählten Sachverständigen eingeholt worden ist. Maßgebend ist allein der Wert des Gutachtens selbst, der durch die Sachkunde des Sachverständigen sowie dessen Sorgfalt bei der Untersuchung und bei der Erstattung des Gutachtens bestimmt wird. Über diesen Wert entscheidet das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (BSG Beschluss vom 30.8.1958 - 11/10 RV 1269/56 - SozR Nr 22 zu § 109 SGG - juris RdNr 6).
Vor diesem Hintergrund bleibt die Anhörung eines nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG benannten Arztes auch dann ein geeignetes Beweismittel, wenn eine Begutachtung durch von Amts wegen ausgewählte Sachverständige gescheitert ist. Jedoch wäre der Antrag des Klägers - sofern keine anderen Ablehnungsgründe, insbesondere nach § 109 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 SGG vorlagen - im Ergebnis zu Recht von den Vorinstanzen abgelehnt worden, wenn von vornherein festgestanden hätte, dass das dann in Anwesenheit einer Vertrauensperson erstellte Gutachten aufgrund sachlich-fachlicher Mängel nicht verwertbar gewesen wäre. Feststellungen hierzu hat das LSG - wie oben bereits ausgeführt - nicht getroffen.
3. Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG die unterbliebene Begutachtung des Klägers nachholen müssen, soweit es diese für erforderlich hält und nicht sachlich-fachliche Gründe gegen die vom Kläger verlangte Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes während der Begutachtung sprechen. Sollte dies der Fall sein und sich aufgrund der Weigerung des Klägers, sich einer Begutachtung ohne Anwesenheit einer Vertrauensperson zu unterziehen, auch im Übrigen keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Bestimmung des GdB zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt im März 2017 ergeben, wird das LSG auch die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zu Beweiserleichterungen zulasten dessen zu beachten haben, der den Beweis vereitelt hat (vgl hierzu BSG Urteil vom 11.7.2019 - B 14 AS 51/18 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 9 RdNr 33; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 14 f; BSG Urteil vom 2.9.2004 - B 7 AL 88/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 17 f; BSG Urteil vom 10.8.1993 - 9/9a RV 10/92 - SozR 3-1750 § 444 Nr 1 - juris RdNr 14 f; s zur Abgrenzung gegenüber einer Beweislastumkehr zB BSG Beschluss vom 25.3.2013 - B 5 R 424/12 B - juris RdNr 9 mwN).
4. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.